Kaffeeservice für die Fußballfrauen

Kaffeeservice und Bügelbrett

Von der Wikipedia ohne Umweg in die Köpfe

Durch einen Hinweis bin ich auf ein Bügelbrett gestoßen, das es gar nicht gibt, das es gegeben haben soll und das sich einige deutsche Online-Medien herbeiwünschen. Der folgende Artikel beschreibt, wie ein Scherzeintrag in der Wikipedia und mangelnde Sorgfalt beteiligter Redakteure dazu führen, dass eine Zeitungsente entsteht.

Jüngst erhielt ich von einem Kommilitonen einen Hinweis auf einen scheinbar lustigen Vorfall. Ein gemeinsamer Bekannter von uns soll demnach aus Spaß in der Wikipedia einen Unsinnsbeitrag verfasst haben. Gemäß der Geschichte hat sich dieser gemeinsame Bekannte über die Siegprämie der Fußballfrauen zum EM-Sieg 1989, das berühmte Kaffeeservice, amüsiert und zynisch die Wörter „sowie ein Bügelbrett“ dem Artikel hinzugefügt. Daraufhin, so wurde mir erzählt, soll es dieses Bügelbrett später sogar in der Quiz-Sendung „Wer wird Millionär?“ geschafft haben.

Hinreichend mit der Wikipedia vertraut, nahm ich dies zum Anlass, einige Minuten zu investieren. Diese Geschichte auf Ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen erfordert schließlich lediglich, einen schnellen Blick in die Versionsgeschichte des besagten Wikipedia-Artikels zu werfen. Schnell war die entsprechende Bearbeitung gefunden und ließ sich tatsächlich auf ein IP-Subnetz zurückverfolgen, das die Geschichte plausibel machte. Die Bearbeitung erfolgte am 10. September 2007 am frühen Nachmittag aus dem Subnetz meiner Uni.

Ob diese Information tatsächlich in die genannte Quiz-Sendung gefunden hat, ließ sich nicht schnell herausfinden, ich bemühte also eine namhafte Suchmaschine, das angebliche Bügelbrett im Internet aufzutreiben. Die Antwort auf diese Anfrage erstaunt mich nach wie vor; das Bügelbrett findet sich in Artikeln folgender Online-Medien:

  • Spiegel Online1)Die Sportredaktion von Spiegel online, die ich parallel zum Blogeintrag per E-Mail informierte, hat soeben (14:13 Uhr) den Fehler korrigiert und am Artikelende einen entsprechenden Hinweis angebracht. 2)Jetzt (16:38 Uhr) stimmt auch die Zwischenüberschrift; vormals „Geldprämie statt Bügelbretter“.
    : Ich werde jetzt nur noch feiern, feiern, feiern, 1. Oktober 2007
  • Stern.de: Hurra, hurra, die Weltmeister sind da, 1. Oktober 2007
  • Welt Online: Herbstmärchen für einen Sonntag, 30. September 2007
  • taz: Erst die Stille, dann der Ehrenjubel, 1. Oktober 2007
  • Berliner Morgenpost: Die Frauen haben sich durchgesetzt, 31. Oktober 2007
  • HAN (Hamburger Anzeigen und Nachrichten): Vom Kaffeeservice zum WM-Titel, 29. November 2007
  • und viele weitere …

Alle genannten Artikel tragen ein Datum, das zwischen wenigen Stunden und einigen Tagen nach dem Datum der fraglichen Wikipedia-Bearbeitung liegt. Artikel vor diesem Datum wissen nichts von einem Bügelbrett.

Wie kann soetwas passieren? Wie kann eine Nachricht, die aus einem Spaß heraus von einer anonymen Person in die Wikipedia eingetragen wird in der Mehrzahl der wichtigen deutschen Online-Medien auftauchen?

Nun mag man argumentieren, dass diese Information wenig Schaden angerichtet hat. In der Tat hat dies wohl eine untergeordnete Bedeutung und selbst die hiesige Bügelbrettindustrie wird wohl kaum eine Änderung an Absatzzahlen verzeichnet haben. Dennoch steckt hinter dieser Geschichte ein ernsthafter Kern. Dieser ist nicht unbekannt, allerdings offensichtlich hinreichend unbekannt, um selbst denjenigen, die sich damit auskennen (sollten?), nämlich Journalisten, nicht Warnung genug zu sein. An schlechten Möglichkeiten zur Verifikation der Geschichte kann es jedenfalls nicht gelegen haben; eine innerhalb weniger Augenblicke verfasste E-Mail von mir an die DFB-Pressestelle ergab als Antwort: „[…] es handelte sich um ein Kaffeeservice, kein Bügelbrett. […]“ Ein Telefonanruf hätte diese Erkenntnis vermutlich innerhalb weniger Minuten zutage gefördert.

Eine ungeprüfter Aussage findet also innerhalb weniger Tage eine signifikanten Verbreitung in den Medien und wird vermutlich nicht mehr so schnell aus Köpfen und Stammtischgesprächen verschwinden. Wie gesagt: in diesem Fall wohl wenig verheerend, aber dennoch ein Beispiel für gelungene Geschichtsverfälschung, ein gefährliches Pflaster. Diesmal ist es ein Bügelbrett, und nächstes Mal …?

Um die obige Frage zu hinterleuchten, wie es zu dem Vorfall kommen konnte:

  1. Es ist offensichtlich, dass Online-Medien seit Jahren mit wachsender Popularität des Internets auch einem wachsenden Druck ausgesetzt sind. Die Aktualität der Meldungen ist bei diesem Medium sicherlich noch um ein Vielfaches entscheidender als bei „alten“ Medien. Dass dies jedoch zu mangelnder Recherche führt und Falschmeldungen begünstigt, ist bedauerlich und hochgradig erschreckend.
  2. Ein weiterer möglicher Grund ist, dass das fragliche Ereignis 1989 stattgefunden hat – also zu einer Zeit, in der das World Wide Web gerade erst unter Laborbedingungen entstand. Berichte aus erster Hand sind also im Internet nicht zu finden. Offensichtlich wird jedoch trotzdem die Wikipedia, die es erst seit dem Jahr 2001 gibt, als Quelle herangezogen. Das ist okay, jedoch darf sie aus prinzipiellen Erwägungen heraus nicht als einzige Quelle, erst recht nicht zu Geschehnissen dieser Zeit, herangezogen werden.
  3. Das Fass, dass männerdominierte Strukturen des Sportjournalismus‘ eventuell die Mär um ein Bügelbrett als Prämie begünstigt haben, möchte ich gar nicht aufmachen. Zumal in diesem Fall erst untersucht werden müsste, wie diese Falschmeldung dann ihren Weg auch in die taz gefunden hat.

Diese Gründe mögen zutreffend sein oder nicht; sie entschuldigen aber keinesfalls das ungeprüfte Übernehmen von Aussagen aus einer Quelle, die

  1. nicht verifizierte Informationen enthält/enthalten kann,
  2. von Freiwilligen erstellt wird,
  3. bekanntermaßen von Vandalismus betroffen ist.

Hierzu möchte ich noch einer Reaktion vorbeugen, die mir bereits häufiger in diesem Themenbereich begegnet ist. Die Schuld sehe ich in diesem Fall in keinerlei Hinsicht bei der Wikipedia. Weder bei den Autoren, noch den Verantwortlichen, noch – und das ist wichtig – bei dem System selbst. Die Wikipedia hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass in ihr enthaltene Informationen ohne jede Garantie bereitgestellt werden und unbedingt durch weitere Quellen verifiziert werden müssen. Solange die Pläne, in der Wikipedia verifizierte Artikelversionen3)Ist mittlerweile umgesetzt. anzubieten, nicht in die Tat umgesetzt wurden, gilt für alle Benutzer und insbesondere für Journalisten, dass die Wikipedia ein Nachschlagewerk aber niemals alleinige Quelle sein darf.


Nachtrag: Über wikipedistik.de kam von Mathias soeben der Hinweis, dass sich das Bügelbrett mittlerweile selbst in einer Rede des Bundespräsidenten finden lässt.

References
1 Die Sportredaktion von Spiegel online, die ich parallel zum Blogeintrag per E-Mail informierte, hat soeben (14:13 Uhr) den Fehler korrigiert und am Artikelende einen entsprechenden Hinweis angebracht.
2 Jetzt (16:38 Uhr) stimmt auch die Zwischenüberschrift; vormals „Geldprämie statt Bügelbretter“.
3 Ist mittlerweile umgesetzt.
  • Kore

    Wie mir gerade auffaellt, auch der Focus hat am 5.12.07 falsch berichtet, und damit auch diese Information unrechecherchiert uebernommen:
    http://www.focus.de/sport/fussball/fussball-frauen_aid_228376.html

  • Tim 'avatar' Bartel

    Auf die schönste Fundstelle[¹] hat mich Mathias[²] eben hingewiesen.

    [¹] http://www.bundespraesident.de/Reden-un...Grusswort-von-Bundespraesident.htm
    [²] http://isbn.mathias-schindler.de

  • Marcus Cyron

    Was mich an solchen Sachen immer besonders stört ist, daß es "Scherzbolde" gibt, die mit Vorsatz Falschinformationen einbringen. Ich finde das nett gesagt Scheisse. Solche Leute sind leider nicht belangbar. Schön wäre es aber. Klar muß Jeder seine Informationen überprüfen. Aber es gibt auch so schon genug Fehler, die mit einem positiven Antrieb eingestellt wurden. Wer wissentlich falsche Informationen einbringt, disqualifiziert sich für mich selbst. Zudem kann ich nicht verstehen, wie man sich mit so etwas brüsten kann. Es ist keine Kunst, ein anfälliges Projekt zu torpedieren, das von Guten Absichten lebt. Und mittlerweile ist dieser "Witz" auch schon so alt und hat einen solch langen Bart, daß er nicht mal mehr für Neandertaler den Hauch von Komik hat.

    • derhans

      > Wer wissentlich falsche Informationen einbringt, disqualifiziert
      > sich für mich selbst.

      Volle Zustimmung. Trotzdem zeigt die Geschichte, wie erschreckend blind manche Menschen der Wikipedia vertrauen. Allerdings muss man fairerweise sagen, dass bei einer wesentlich relevanteren Information der Fehler vermtlich sehr schnell aufgefallen und korrigiert worden wäre.

  • 32X

    SPiON ist knuffig:
    Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version dieses Artikels war davon die Rede, dass die Spielerinnen 1989 als EM-Prämie zusätzlich zum Kaffeeservice auch ein Bügelbrett erhalten hatten. Dies war nicht der Fall. Wir bedauern die falsche Angabe.

    Dass eine Sektionsüberschrift noch immer „Geldprämie statt Bügelbretter“ lautet, ist dem Redakteur wohl entgangen. Wer schreibt die Mail?

  • KMTO

    Meine Freundin sagt gerade, daß das "Kaffeservice & Bügelbrett" eine Aussage einer Spielerin im Fernsehen war. Kann mal jemand eine Spielerin fragen?

    Hier wäre entscheidend, wo und vor allem wann diese fragliche Aussage stattgefunden hat.

  • klee

    "Was mich an solchen Sachen immer besonders stört ist, daß es "Scherzbolde" gibt, die mit Vorsatz Falschinformationen einbringen. Ich finde das nett gesagt Scheisse. Solche Leute sind leider nicht belangbar."

    irgendwie ist in den "pschyrembel" (ein medizinisches wörterbuch), die 'steinlaus' hineingekommen, eine erfindung von Loriot. ist erst spät bemerkt worden und dann herausgenommen worden. aufgrund von leserbriefen wird die steinlaus aber wieder abgedruckt.

    es gibt eben solche und solche falschinformationen. wenns witzig und harmlos ist ists in ordnung, bei wikipedia aus jux und dollerei die giftpilzseite umkrempeln und fliegenpilz als genussmittel zu deklarieren wäre natürlich nicht okay, aber die erwähnte steinlaus oder das bügelbrett sind doch relativ lustig, oder etwa nicht?

  • stefan niggemeier

    An den besonderen Bedingungen, unter denen Online-Medien arbeiten, kann es nicht liegen. Das Bügelbrett steht auch in den gedruckten Ausgaben von "Welt" (29.9. und 1.10.), "Welt am Sonntag" (30.9.), "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (30.9.), "Tagesspiegel" (2.10.), "taz" (4.10.) und "Berliner Morgenpost" (31.10.).

    Köhlers Zitat mit dem Bügelbrett wurde dann übrigens wieder von den Nachrichtenagenturen AP, dpa und SID weiter verbreitet.

  • H.M.Voynich

    Der Vollständigkeit halber: das Bügelbrett kam tatsächlich bei "Wer wird Millionär". Jedoch nicht als richtige Antwort, sondern als eine von den drei falschen. Ich weiß jedoch nicht, ob das nach oder (knapp) vor dem Wiki-Edit war. Letzteres wäre einleuchtender, denn die wenigsten Trolle haben Fantasie ...

    Die Ausstrahlung der fraglichen "Wer wird Millionär"-Sendung erfolgte am 22. November. Der Wikipedia-Beitrag kann also nicht davon inspiriert sein.

  • jeeves

    Als Partner eines bekannten deutschen Musikers hab ich auch schon manchmal bei Wikipedia den Kopf schütteln müssen, vor allem wenn's um sowas emotionelles wie Musik geht - da werden angelesene Werbetexte oder Musikzeitschriftenblahblah (nicht nur bei Pop) als gegebene Tatsachen in Wiki übernommen. Offensichtlich von unbedarften Fans, die jeden Mist (von Übertreibung bis zur Lüge) glauben (wollen) und wohl noch stolz darauf sind es verbreiten zu dürfen (?)
    Ich hab das schlimmste bei "meinem" Musiker ein-zweimal korrigiert, doch wozu? Kurz darauf kommt der nächste Fan und verschlimmbessert es wieder in Richtung Mythos. Wetten, dass auch viele Beiträge zu sog. "klassischen" Musikern (& Malern, Architekten, Autoren, etc.) voller Mythen anstatt Tatsachen sind?

  • H.M.Voynich

    @22.11. (in #10) Danke für die Info. Ich war schon in Sorge wegen meines subjektiven Zeitempfindens. ;) Das führt zu der Vorstellung, daß die WwM-Redakteure die ersten waren, die diese Finte in WP bemerkten - ohne sie natürlich zu korrigieren.

  • Thomas Wiegold

    Ich halte es für höchst wahrscheinlich, dass nicht alle die genannten Medien bei Wikipedia abgeschrieben haben. Sondern dass eine Nachrichtenagentur das Bügelbrett übernommen hat und alle anderen sich auf diese Agentur verlassen haben.

    Kann das derzeit nicht nachprüfen, weil nicht im Büro, und kein Agenturzugang. Aber das lässt sich ja nach Weihnachten nachholen.

    Und dann wäre die Einschätzung eine andere - man kann nicht von einem Medium erwarten, jede Agenturmeldung auf die Fakten zu überprüfen. Dann würde nämlich die Organisation einer Agentur wenig Sinn haben. Was wiederum klar macht, warum an die Zuverlässigkeit einer Nachrichtenagentur - zumindest theoretisch - hohe Anforderungen gestellt werden.

    (Disclaimer: Wie erkennbar, arbeite ich bei FOCUS, allerdings als Redakteur beim gedruckten Heft und nicht bei Online. Und ich habe lange für Nachrichtenagenturen gearbeitet.)

  • apl2fan

    @kore: Der Focus zitiert wörtlich aus der Rede des Bundespräsidenten, insofern kein Fehler (beim Focus) ausser vielleicht, dass man das Zitat kommentieren hätte können. Aber den Bundespräsidenten - wie man hier so schön sagt - aufblattln? Wer macht den sowas ;-)

  • Christian

    Eine Meldung und ihre "lustige" Geschichte. Selbst das war schon erschreckend - aber nun der prinzipiell gleiche Sachverhalt, nur mit wesentlich dramatischeren Auswirkungen:
    http://www.faz.net/s/Rub475F6...pl~Ecommon~Scontent.html

    Grüße,
    Christian

  • Detlev Claussen

    Schlimmer als ein Bügelbrett Der weltweit abgekupferte gefälschte Lebenslauf mit Zitaten des Bhuttosohnes zeigt wie berechtigt Ihre Kritik ist!Nachzulesen in der FAZ vonm 4.1.08
    http://afp.google.com/article/ALeqM5j9PnKJTZoXLrzcL6W5-xHypsljUQ

  • mind-gs

    Bei WWM kam das Bügelbrett in der Frage und den Antwort-Alternativen nicht vor; Günther Jauch (der die Geschichte also wohl kannte) hat es aber bei der Auflösung der Frage erwähnt. Übrigens hat sich ein besonders sachkundiger Zuschauer von WWM hinterher beschwert, dass es kein reines Kaffeeservice, sondern ein komplettes Ess-Service war. Womit er Recht hat. (soviel zum Alltag aus der WWM-Redaktion ;-) )
    lg
    günter schröder

  • Claus

    Das ist doch eindeutig der Nachteil an Web 2.0 Genau so rasant wie sich Nachrichten und Wissen verbreitet, verbreitet sich aber auch aller Unsinn

  • Frank

    Da gebe ich dir vollkommen recht! Wikipedia ist ja auch eine Crowd Plattform die davon lebt das jeder seine Informationen dort eingibt die er hat. Jeder kann praktisch diese Information reinschreiben. Am ende gibt es zwar eine Redaktion, aber selbst die können nicht alles auf genauste prüfen...

  • David

    Die Behauptung mit dem Bügelbrett wurde heute in der Sendung mit der Maus reproduziert. Während des Gesprächs mit Freunden darüber bin ich auf diesen Blog gestoßen und will mich, knapp 15 Jahre später, kurz für die Recherche und Richtigstellung bedanken.

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